Janusch und Silke – Eine Zeitreise

30er & 40er Jahre

Janusch und Silke wurden im denkbar ungünstigsten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts geboren. In Deutschland herrschte ein böser Mann mit einem kleinen Bart, der die Welt in den 2. Weltkrieg stürzen sollte. Dies beeinflusste die Lebenswege von Silke und Janusch nachhaltig.

Janusch wurde am 18. März 1939 in Stryj, Galizien (damals noch Ostpolen) als Sohn von Ladislawa und Johann Daum und Bruder von Ella geboren. Bald darauf musste die junge Familie vorm Heranrücken der russischen Truppen fliehen. Zu Fuß und mit Handwagen und wer weiß wie noch gelangten sie in ein Auffanglager im sächsischen Hammerleubsdorf. Die Lebensbedingungen dort waren denkbar schlecht, dennoch hat Janusch von dieser Zeit noch lustige Geschichten auf Lager.

Anschließend zog die Familie zurück ins besetzte Polen nach Kalisz, wo Janusch’s Großvater Jakob Daum als Bäcker arbeitete. Leider wurde Johann bald zum Kriegsdienst eingezogen, aus dem er nicht zurückkehren sollte. Für die Familie ein schwerer Schlag, um es noch milde auszudrücken.

Als sich der Krieg zum Ende neigte, mussten die Daums erneut umziehen, diesmal nach Mittweida, wo Janusch seine Kindheit und Jugend verbringen sollte.

Kurz vor Ende des Krieges, am 4.4.1944, wurde Silke in Magdeburg als Tochter von Edith und Fritz Schnause geboren. Im Januar 1945 erlebte sie dort als Baby den Bombenangriff auf Magdeburg mit und floh mit ihrer Mama Edith am nächsten Tag ins sichere Cochstedt. Auch diese Reise war beschwerlich – teils zu Fuß, teils mit dem Zug.

In Cochstedt erlebte Silke nach dem Krieg eine unbeschwerte Kindheit auf dem Land. Ihr Vater Fritz kam zum Glück unverhofft aus der Gefangenschaft zurück und kündigte sich bei seiner Ankunft mit seinem bekannten Pfiff an. Silke berichtet in ihren Erinnerungen, wie sie ihn anfänglich für einen russischen Soldaten hielt, abwies und wie er sich hungrig über den frischgebackenen Pflaumenkuchen hermachte. Die Familie war wieder komplett.

Was die Nachkriegszeit für Blüten trieb, davon kann auch Janusch ein Lied singen. Die Flasche Sekt, die für Johanns vermeidliche Rückkehr aufgehoben worden war, hatte Onkel Artur im Suff gelehrt, und hinterher, um seine Spuren zu verwischen mit Wasser gefüllt. Jahre später erst flog der Schwindel auf. Im Jahre 1945 wurde Janusch eingeschult. Da der Direktor seinen Vornamen nicht mochte, hieß er dort von Stund’ an Eduart.

50er Jahre

In den 50 Jahren war die DDR frisch gegründet. Wilhelm Pieck (dem Papi später einmal die Hand schüttelte) war ihr erster und letzter Präsident. Janusch verbrachte seine Kindheit und Jugend in Mittweida. Seine Mutter hatte als Alleinerziehende alle Hände voll. Janusch entwickelte zu einem kleinen Rabauken. Viel kann er selbst darüber erzählen. Zum Beispiel, wie er und seine Freunde Axel, der Dicke und der Lange, einmal einen Schuppen auseinander nahmen um ein Floß zu bauen. Natürlich war der Besitzer alles andere als erfreut, als er die Lusebesen mit den Überresten seines Schuppens über den Kochteich treiben sah. Heimliches Schwimmen im Kochteich führte auch dazu, dass Janusch seine nassen Klammotten im Kleiderschrank versteckte, wo sie dann verschimmelten. Eine weitere heimliche nächtliche Heimkunft war mit einem Sprung über den Zaun verbunden, der für Janusch in der Klärgrube endete. Die Ferien verbrachte Janusch oft bei den Großeltern in Eisleben. Dort bekam er ein Kaninchen als Haustier geschenkt. Eines Tages war es nirgends mehr zu finden und tauchte dann in einem Festmahl wieder auf.

Der jugendliche Janusch zog später mir der Familie in die Göthestraße um. Er beendete die Schule nach der 8. Klasse und nahm eine Lehre als Dreher auf. Dort erlebte er mit, wie ein Kollege sich ohne es zu merken, den Finger abdrehte.

Mamis heitere Kindheit war vom Spielen in Hof und Haus, im Garten, auf dem Platz vor dem Haus und auf dem Dachboden geprägt. Haustiere hatte sie auch. Unter Anderem eine Katze names Pussie und ein Huhn namens Putti. Außerdem gab es Ziegen, Schweine und Pferde. Sie schwärmt noch heute von Ausflügen in den Hakel und dem Stromern im Heißen Grund. Im Jahr 1950 wurde Silke eingeschult. Lehrer Müller war bei allen – also auch bei ihr – sehr beliebt. Ihre besten Freunde waren Karin Brune und Christiane Wagner.

Zum Leben in den 50er Jahren befragte ich als Zeitzeugin Tante Heike. Sie berichtet:

Mädchen trugen Petticoats mit geblümten Röcken darüber. Komplettiert wurde das Outfit durch ein kurzärmliges Oberteil. Als Frisuren waren Ponys oder Pferdeschwänze modern, dazu Ballerinaschuhe oder Pumps. Jungs trugen oft zweiteilige Kleidung. Entweder karrierte Sakkos mit breiten Schultern oder Bundjacken und Schuge mit Specksohlen. 1956 gab es in Cochstedt den ersten Fernseher bei der Familie Wagner. Das halbe Dorf versammelte sich da, um den winzigen Bildschirm in der riesigen Holzkiste zu bewundern. Tante Erni aus Magdeburg hatte dann eine Flimmerkiste ab 1958. Auch dort traf sich die ganze Familie zum Fernsehen. Silke und Heike verbrachten oft die Ferien bei Tante Ernie und Onklel Willie, der jedesmal einen detaillierten Ferienplan ausarbeitete. Ein beliebtes Ausflugsziel war das Freibad. Silke liebte diese Aktivität, dagegen war Heike froh wenn der Schwimmbadbesuch einmal wegen Regens ausfiel. Da es in der modernen Wohnung fließend Wasser und eine richtige Toilette gabt, spielten Silke und Heike gerne dort Milchmann. Zu Hause in Cochstedt erinnert sich Tante Heike an die Dämmerstunde wenn abends (wie so oft) der Strom ausfiel. Es wurden Geschichten erzählt und Klavier gespielt. Mangel wurde nicht emnpfunden. Man machte sich, nähte sich, seine eigenen Kleider von Stoff aus Amerikapaketen. Als besonderes Erlebnis in den 50ern erinnert sich Heike an ihre Konfirmation, ein Großereignis, zu dem sogar die Familie aus dem Westen anreiste. Die vielen Gäste kampierten überall im Haus - auf Faltbetten oder Strohsäcken auf der Erde. Ein Einschneidendes Erlebnis für war der Umzug 1959 nach Magdeburg. Silke war 15.

60er Jahre

Laut Günter Watzeck sah es in den 60er Jahren in der DDR so aus:

Es ging hüh und hott. Politisch. Wirtschaftlich. Walter Ulbricht wurde Staatsratsvorsiztender. Mit dem 11. Plenum der SED 1965 und mit der damit verbundenen Einschränkung der künstlerischen Freiheit. Mit dem NÖS (Neues Ökonomische System der Leitung und Planung der Volkswirtschaft) und der hiermit verbundenen größeren Selbständigkeit der Betriebe. Die DDR erarbeitete sich damit den 10./11. Platz bei der Industrieproduktion im Weltmaßstab. Breshnew machte dieser Entwicklung Anfang der 70er Jahre den Garaus. Aber es ging in der DDR aufwärts nach dem Dritten Reich. Gegenüber den unmittelbaren Nachkriegsjahren lebten wir besser. Als Lehrer hatten wir, wenn auch nicht vermögend, ausreichend Geld. Dein Vater und ich, wir waren Optimisten und wollten den alten deutschen Bock mit umstoßen. Was daraus geworden ist, weißt Du. - Übrigens sind Dein Vater und ich noch heute Optimisten. Bei allen Weltärgernissen.
Zur Mode: Unter anderem Möbel im Bauhausstil. Ein Leben lang hielten sie nicht. - Die Röcke der Mädchen wurden bei jedem saisonalen Kleiderwechsel um einen Rocksaum breit kürzer. - Deren Mütter meckerten darüber, und darüber beschwerten  sich die Mädchen jedes Mal bei mir. Bis zur 12. Klasse hinauf ging das. - Diese Röcke waren kürzer, als aus dem Katalog ersichtlich. Kleidung wurde eben auch recht individuell getragen. - Jeans setzten sich bei den jungen Herren durch. Deren Haare wurden länger. Beat wurde gehört und von der Schüler-Band der Schule (EOS) gespielt.

Die Junge DDR suchte neue Lehrer und da wurde auch Janusch angeworben. Im Jahre 1960 machte er sich auf zum Studium in Leipzig und lernte dort neue Freunde – Detlef Wesuls, Günter Zinn und Kunow. Da ich über diese Zeit kaum etwas weiß, befragte ich als Zeitzeugen Detlef Wesuls. Dieser schickte mir viele Fotos und Auszüge aus seinen Memoiren. Unter Anderem erinnerte dieser sich an eine Taxifahrt mit Janusch und Günter vom Bahnhof zur Universität bei heißestem Sommerwetter. Der Taxifahrer weigerte sich, die Fenster zu öffnen, so bekam er den Unmut der jungen Studenten lautstark zu hören. Schließlich kamen alle total durchgeschwitzt an ihrem Ziel an – dort entstand dieses Foto. Zu Beginn der Studienzeit schickte man die Seminargruppe zum gegenseitigen Kennenlernen in eine Art Ferienlager. Dort ging es anscheinend sehr lustig zu, wie hier zu sehen ist. Auch hier hat Detlef eine Anekdote parat. Während eines Ernteeinsatzes fingen die drei Freunde eine Feldmaus, die sie in das Hosenbein einer Mitstudentin, Inge Herzig, schlüpfen ließen. Dies resultierte in einem laut Wesuls „Feiztanz für Inge und einem Feixtanz“ Detlef, Günter und Janusch. Inge sprach Wochenlang kein Wort mit ihnen. Während des Ferienlagers starb Wilhelm Pieck, aus der geplanten lustigen Abschlussfeier wurde eine eher Besinnliche. Später während des Studiums arbeitete Janusch auch auf der Leipziger Messe, wo er mit der großen weiten Welt in Berührung kam.

Die Familie Schnause wohnte in den 60er Jahren in der Alemanstraße in Magdeburg. Silke besuchte Anfang der 60er besuchte die 9. und 10. Klasse der Thälmannschule. Nach dem Schulabschluss besuchte sie das Institut für Lehrerbildung (IFL) am Domplatz (heutiges Domgymnasium). Hierzu befragte ich eine ihre Kommilitoninnen und Freundin Monika Senfle. Sie erinnert sich, dass Silke gesellig, überall beliebt und bekannt für ihr künstlerisches Talent war. In der Seminargruppe hatten alle ein freundschaftliches Verhältnis und Silke hatte einen großen Anteil daran. Bei geselligen Runden übernahm Silke immer die Gestaltung. Monika hat viele dieser Gestaltungen Jahrzehnte lang auf ihrem Dachboden aufgehoben und bei Feierlichkeiten wiederverwendet.

Während ihrer Lehrerausbildung unterschrieben sowohl Mami, als auch Papi ein Dokument, womit sie sich verpflichteten, in den ersten Lehrerjahren dorthin zu gehen, wo der Arbeiter und Bauernstaat sie benötigte. Diese Unterschrift war für beide schicksalshaft, denn sie landeten beide in Beetzendorf, in der tiefsten Provinz der Altmark. Weder Silke noch Janusch wollten dort hin. Janusch weigerte sich sogar hartnäckig. Doch zum Glück ließen sie sich breitschlagen.

Als Zeitzeuge zur Beetzendorfer Zeit sagen Günter und Renate Watzeck:

Zu Deiner Mutter hatte ich, sie nur auf der Straße sehend, freundlich grüßend Kontakt, da wir nicht an der gleichen Schule unterrichteten. Ein nettes, freundliches "Mädchen". Öfter steigt ein Bild in mir auf, als sie mit ihrer Kollegin Schorlies (Schreibweise mir unbekannt) albernd beim Bäcker Freund  um die Ecke ging. Man könnte auch sagen, in einem heiteren Gespräch mit dieser lustwandelte. Renate hat ein Jahr mit Deiner Mutter in der Unterstufe an der POS in Beetzendorf zusammengearbeitet .- Ich hatte 1964 ein Arbeitsangebot an der EOS erhalten, und Renate stieg an der POS ein. - Waren Kollegen nicht miteinander befreundet, so gab es zwischen diesen außerhalb der Schule kaum Kontakt. Deine Mutter war eine freundliche und nette Kollegin, sagt Renate. Mit einer künstlerischen Ader. Eine Bereicherung für ihre Schüler und ihre Kolleginnen. Auch heute noch - und nun befreundet - erhält Renate viele Anregungen für Basteleien von ihr. Oft mit entsprechendem Material.
Nun, was soll ich Dir zu Deinem Vater schreiben? So viel ist das. - Und dann braucht ein Sohn auch nicht alles wissen. - Wir hatten am gleichen Pädagogischen Institut studiert, doch an diesem keinen Kontakt zueinander. In Beetzendorf begegneten wir uns auf der Straße, und uns beiden fiel ein, dass er den anderen von Leipzig her kenne. Vom Angesicht zwar nur. Aber ... Wir gingen aufeinander zu und merkten, wir sind auf der gleichen Wellenlänge. Auch sind wir vor unserer Lehrerei einstmals dem Dreher-Handwerk nachgegangen. Er war umgesiedelt worden nach dem Krieg. So auch ich. Nun siedelten wir in Beetzendorf. Dein Vater besuchte uns auf dem Steinweg. Wir besuchten ihn später auf der Karl-Marx-Straße. Sein Domizil zuvor bei Frau Hecht war etwas eng. Mehr eine Studentenbude. Waren wir zusammen, meist nur er und ich, sprachen wir über das Leben und darüber, ob in China wieder einmal ein Sack Reis umgefallen ist. Und über die Auswirkung dieses Ereignisses auf die Weltpolitik. Private Gespräche gab es auch. Sehr private. Mitunter war Renate dabei.
Dein Vater war schon immer eine fürsorgliche Natur. Er schob Hendryk gern im Kinderwagen. Aber das war schon 1972.
Einstmals, Dein Vater wohnte noch bei Frau Hecht, die äußerst betrübt war, als er in »seine« neue Wohnung zog, einstmals saßen wir in seiner »Studentenbude« und sprachen wieder einmal über das Leben. Da pochte ein jüngerer Kollege an die Tür und bat um Einlass. Mit einer Flasche Wodka in der Hand. Er brauchte Hilfe von Deinem Vater. Seine Freundin studierte an einer Ingenieurschule und musste zu Gorkis »Mutter« einen Hausaufsatz schreiben. - An Ingenieurschulen gab es zu dieser Zeit für alle das Fach Deutsch. -  Und die hatte ihren Freund damit beauftragt. Er war Deutschlehrer und kannte sich damit aus. Nun, ja. Ehemals in der Schule in der 11. Klasse mit dem Roman konfrontiert  sowie beim Studium, war bei ihm nicht viel hängen geblieben. Zumindest hätte er den Roman wieder lesen müssen. Dein Vater als Fan russischer Literatur und Kultur war für ihn der richtige Ansprechpartner. Ich kannte seine Freundin. Sie war einmal meine Schülerin gewesen, auch mit der »Mutter« kannte ich mich aus. In der 11. Klasse behandelte ich sie. Wir berieten nicht lange, was zu tun sei. Der junge Kollege, oder Rainer Oriwohl, bekam Papier zum Schreiben von Deinem Vater und einen Stift. Nach dem ersten Glas Wodka schrieb er auf, was uns zum Aufsatzthema einfiel. Und uns fiel etwas ein. Gedanken, die wir sonst nicht dachten. Wodkageläutert. Treffend. Und klar. Wir spielten uns die Bälle zu. Der Rainer kam mit dem Schreiben kaum mit. Als der Aufsatz abgerundet vor diesem lag, war die Wodkaflasche leer. - Der Aufsatz der Freundin des Rainers wurde in der Ingenieurschule an die Wandzeitung geheftet. Noch nie hatte so jemand über Gorkis Mutter geschrieben. So treffend. Und sprachlich gut. - In der Studentenbude bei der Frau Hecht. Aber das wusste man nicht. Enge befördert den Geist. Geschwankt sind wir nicht. Noch gewankt.

Die 60er Jahre hielten große Ereignisse parat. Oma Edith und Opa Fritz feierten ihre silberne Hochzeit. In der Familie gab es Nachwuchs. Stefan, Uli und schließlich Thorsten.

Die 70er Jahre

Zu den 70er Jahren meldet sich Uli zu Wort:

Modern bei Klamotten waren eng sitzende Hemden mit riesigen Kragenecken, Hosen oben super eng und ab Knie dann weit. Schrille Farben, riesige Brillen, Kotletten und lange Haare modern. Kunstoff boomte auch in der DDR, vom Eierbecher bis zum faltbaren Campingzahnputzbecher. Große Muster auf Tapeten und Vorhängen. Softeis wurde populär, Milch in Schlauchbeuteln und Spee war nun gekrönt, also rieselfähig ohne anrühren. Die Multispektralkamera und Sigmund Jähn flogen in den Kosmos Und der Trabant hatte nun 23 PS und beschleunigte von Null auf hundert schneller als die Sojus Rakete vom Boden. Alle Kinder wurden in Badusan Badewasser gebadet, Sparwasser und Cierpinsky wurden berühmt und die ersten Müllschlucker waren in Plattenbauten zu bewundern. Erich Honnecker wurde Staatsratsvorsitztender.

Und Thorstens Blick auf die 70er:

Die 70er Jahre waren durch zwei kennzeichnende Epochen geprägt. Die erste Hälfte des Jahrzehnts fiel in das Zeitalter des DUTTS. Der Dutt war nach den Beobachtungen unseres Reporters gleichwohl wichtig (seine Pflege nahm einige Zeit in Anspruch) als auch mysteriös. Wie sich eine Unmenge schier bis zum Boden reichendes Haar in eine winzige Kugel verwandeln ließ, muss vielleicht für immer das Geheimnis einer Zeit bleiben, die in anderen Teilen der Welt der sogenannten (und ebenso mysteriösen) Disco-Epoche zugerechnet wird.
Die zweite Hälfte der 70er Jahre war die Zeit des SCHLAMMS. Auch der Neubauwohnungen (angesichts einer wachsenden Familie sogar gleich ihrer zwei), aber die gab es später auch noch. Für den Beginn der Neubauwohnungszeit in den 70ern war jedoch der Schlamm charakteristisch, von dem diese schönen Wohnungen buchstäblich in alle Himmelsrichtungen umgeben waren. Fernheizung, Fahrstuhl und Balkon, alles war fertig und wunderbar – nur nicht die Außenanlagen.

Silke und Janusch heirateten im Jahr 1976. Der Taxifahrer machte einen fiesen Kommentar; Die Dummen würden nicht alle. Aber er hatte offensichtlich Unrecht. Ein Jahr später kam Sebastian zur Welt. Die Familie Daum wohnte in der Allendestraße und schließlich im Brunnenhof. Mami arbeitete als Lehrer – zunächst in der Jaraschule und anschließend der Wolfschule. Papi in der pädagogischen Hochschule.

Uli berichtet weiter über ein paar denkwürdige Ereignisse:

Vermutlich Opa Walter trifft in der Stadt vor einem Laden auf den Kinderwagen mit Thorsten und Mami offensichtlich kurz im Laden. Schiebt den Wagen wenige Meter vom Eingang weg und beschäftigt sich mit dem Kleinen. Mutter beim ersten Blick schockiert, das Kinderwagen und Kind weg!!
Stefan als vermutlich mit 3-4 Jahren auf dem Schoß deiner Mama in der Straßenbahn beobachtet gegenüber sitzende attraktive Frau (vielleicht so im Alter unserer Oma Edith damals, also Anfang fünfzig) und es bricht aus ihm heraus der Frau gegenüber: »Meine Oma ist auch schick so schön tupiert!«
Opas 70. Geburtstag. Heißer Tag im Juli (26.7.78) Viel los in der Grundig Str. 6. Ein Dutzend Sängerbrüder im zweiten Zimmer und entsprechend Bier musste gekühlt werden. In der Badewanne kaltem Leitungswasser kein Problem. Es lösten sich aber die Etiketten und verstopften den Überlauf und die Überschwemmung war Perfekt. Dein Papa und meine Mutti waren wohl die Flut - Ersthelfer.

Die 80er Jahre

Die 80er Jahre waren das letzte Jahrzehnt der DDR und in der Sowjetunion explodiert ein Kernkraftwerk. Wirtschaftlich ging es bergab. Mit Lech Walesa und Solidarnosc in Polen wird eine Kausalitätenkette in Gang gesetzt, der schließlich zu Demonstrationen in der DDR und dem Fall der Mauer führt. Die Mode der 80er? Riesige Frisuren bei Frauen und Fokohila bei Männern. Frauen und Männer trugen gerne übergroße Blazer und Sakkos mit riesigen Schulterpolstern. Die zerrissenen Jeans kamen in Mode. Kinder wurden gerne in Lederhosen gesteckt. Ob die Kinder das so toll fanden?

Die Familie Daum lebt zunächst im Brunnenhof. 1982 wird Bertram geboren. In der Wohnung wird es eng und so wird der Balkon als notdürftiges Zimmer für Thorsten umgebaut.

Ein Auto der Marke Trabant 601 wird angeschafft. Hier erlebt Sebastian folgendes:

Bei einer Fahrt im Trabant mit Papi, er spielte auf dem Rücksitz irgendwas als vielleicht siebenjähriger und erschrak durch den Aufschrei des Vaters, der freudig erregt dem Sohn auf dem Tacho zeigen konnte, dass unser Trabbi gerade die 100 kmh Schallmauer durchstoßen hat.

Außerdem erinnert sich Sebastian so an die 80er Jahre:

Unsere Eltern empfanden es als großen Glücksfall, 1984 eine Fünfraumwohnung in Neu-Olvenstedt zugeteilt zu bekommen. Mami musste damals spontan in einer Telefonzelle über das Angebot entscheiden ohne die Wohnung gesehen oder mit Papi darüber gesprochen zu haben. Wir galten als kinderreiche Familie und das brachte gewisse Vorteile wie z B. ein extra Kilo Bananen oder eben das Anrecht auf mehr Wohnraum. Thorsten, der es wahrscheinlich satt hatte, von Zeit zu Zeit von jüngeren Geschwistern in seinem unbeheizten »Balkonzimmer« eingesperrt zu werden wird das besonders zu schätzen gewusst haben. Als wir in den BTR 23 umzogen war ringsherum noch alles  Baustelle und für mich ein riesiger Abenteuerspielplatz mit meterhohen Sandbergen und Häusern im Rohbau. Abgesperrt war in der Regel nichts und lud deshalb zur Besichtigung ein. Auf dem Weg zur Schule musste man ab und zu über einen Graben springen oder durch eine riesige Pfütze waten in deren Mitte, wie eine Insel, ein verlassener Bauwagen lockte. Vom Balkon unserer neuen Wohnung konnte man damals noch den Dom sehen und auf dem Parkplatz vor dem Haus standen vor 35 Jahren so wenige Autos, dass ich mit Freunden wunderbar Tennis spielen konnte.
Kinder- und Hausfeste fanden regelmäßig statt.  Mami hat dafür Linolschnitt- Plakate gedruckt. Ich erinnere mich an Luftgewehr-schießen auf dem Nachbarhof, Kegelspiele Bastelstände und Kreidemalerei auf den Gehwegen.
Wir schmückten unsere Fahrräder und Roller geschmückt haben und dafür irgendwelche Preise bekamen. Sebastian bekam einen Anhänger mit Ampelmännchen, auf das Bertram neidisch war.
Sebastian und Bertram spielten auf der Plattenbaustelle. Sebastian sammelte beim Herumstromen in den Häusern Patronenhülsen, die irgendwie vom anbringen (anschießen) der Vorhangschienen stammten.

Tante Ella besuhte uns regelmäßig aus dem Westen. Das war für uns Kinder immer ein Tolles Ereignis. Wenn sie ihre Koffer öffnete, duftete es nach dem Westen, einem Mix aus Weichspüler, Parfum und Schokolade (Hannuta). Wir bekamen Süßigkeiten und Spielzeug geschenkt. Mit 3 Westmark ging es ein paar Mal zum Intershop und wir durften un sein Matchbox-Auto aussuchen.

1987 wurde Thorsten Soldat, ich war mächtig stolz auf ihn – besonders, als er unseren Kindergarten in Uniform besuchte. Seitdem war ich dann unantastbar und mich wollte mich keiner mehr ärgern.

1989 fiel die Mauer – das änderte alles.

Die 90er Jahre

Die 90er Jahre bedeuteten für uns den Beginn einer neuen Welt – des Westens, mit seinem Glitzer-Glatzer, Einkaufsregalen voller unbekannter Südfrüchte und allem Spielzeug was das Herz begehrte. Aber auch Ungewissheit gab es. Vor den Staubsauger- und Versicherungsvertretern, die die unbescholtenen Ossis überfluteten und vor drohender Arbeitslosigkeit. Einige meiner Freude zogen in den Wester – auf Nimmerwiedersehen. Der erste Besuch in einem Kaufhaus in Westberlin war für uns ein Kulturschock! Vor der Währungsreform kauften wir uns schnell noch so einigen Krims-Krams, denn das Geld wurde ja 1:2 abgewertet. Silke und Janusch kauften noch schnell einen RFT Fernseher mit Fernbedienung für 6000 Mark! In der ersten Hälfte der 90er waren Klamotten in schreienden Farben und wilden Mustern modern, so z.B. bunte Trainingsanzüge aus leicht-entflammbarem Polyester. In der zweiten Hälfte kam dann die Grunge-Mode – kurzum Schlumperklamotten.

Wir machten große Reisen in den Westen und flogen auf exotische Inseln: Die Kanaren, gleich dreimal hintereinander. Ende der 90er entdeckten wir Dänemark für uns, das von Stund‘ an unser Lieblingsreiseziel bleiben sollte.

Sebastian und Bertram besuchten das Norbertusgymnasium. Sebastian machte sein Abitur im Jahr 1995 und zog zum Studium nach Berlin.

Thorsten entdeckte Amerika. Unsere Familie bekam Zuwachs – in Form von Tinchen und Évi.

Die 2000er bis heute

Kohl wird abgewählt und Schröder betritt die Bühne der Kanzlerschaft. Später abgehängt durch die Dynastie Merkel. Wir sind voll im Westen angekommen und machen jedes Jahr Urlaub in Dänemark. Thorsten und Évi lassen sich in den USA nieder, Sebastian und Tienchen erst in Berlin, dann in Halle. Bertram macht sein Abitur und studiert in Kassel, dann Frankfurt. Dort lernt er Vicki kennen.

Insbesondere erinnert sich Tinchen an 2000 bis 2010:

Der denimlook war angesagt - von oben bis unten in denim gekleidet, die Frauen trugen Capri Hosen, und Rock über Hose. Bei kleinen mädchen heute noch zu beobachten, dass das wunderschöne dünne sommerkleidchen auch im Winter bei 0°C getragen werden kann, wenn eine Hose darunter gezogen werden kann. Stringtangas sind weiterhin der Hit und man trägt körperglitter. Bunte Sonnenbrillen wie Anastasia sind Trend.
Anfang des Jahrtausends läuft im Kino Gladiator,  The Beach, The Grinch und Herr der Ringe. Im Fernsehen stehen Big Brother, Dschungelcamp, TV Total und wer wird Millionär hoch im Kurs. Im Hause Daum zieht Monk ein und begeistert die Gemüter.
Der wohlverdiente Ruhestand der beiden trat ein und damit hielten neue Projekte Einzug. Die trennkost wurde entdeckt und zauberte immer Leckere Gerichte auf den Tisch, selbstgebackenes dinkelbrot und die Herstellung und Verbreitung von Kefir beschäftigte nun Silke. Man blieb sich ( bis heute!!! ) treu und verbrachte fast jeden Sommer in Dänemark. Freunde und Freundinnen waren immer herzlich willkommen und verbrachten immer einen schönen familienunrlaub in nordjütland. Der zweite Sohn hatte das Heim bereits verlassen und nur noch das Nesthäkchen konnte von den liebenden Eltern betuddelt werden, wobei in dieser Dekade bereits auf den »kakauuuuuu« verzichtet werden konnte, um aus dem Bett zu kommen (so glaube ich jedenfalls). Sohn Nr. 3 wurde nach seinem Abi und Zivildienst flügge und entschwand für ein Studium nach Hessen. Wenn die Kinder samt Anhang am Wochenende nach Hause kamen, wurden immer leckere Sachen aufgetischt und jede Menge essen-Vorrat als überlebenspäckchen mitgegeben.
In dieser Dekade habe ich endlich janusch und Silke geduzt, wobei ich nicht unerwähnt lassen möchte, dass ich mir das recht dazu nach einer gefühlt 5jährigen Beziehung mit Sebastian einfach herausgenommen habe. Dieses führte wohl zu leichter Irritation und Meinungsaustausch unter Freunden (Videomaterial dazu liegt vor). Wurde aber akzeptiert und es  benötigte nur etwas Gewöhnung.
Ostern 2006 legten wir im Garten in tartun  dem Oster-Körbchen einen nuckel bei, der als dezenter Hinweis auf familiennachwuchs geben sollte. Janusch und Silke fanden das Körbchen mit darin befindlichen nuckel. Silke tutschte gleich mal am nuckel und lachte - konnte  sich aber keinesfalls vorstellen, welche Bedeutung es hatte. Da mussten wir doch aufklären und die Freude auf ihr erstes Enkelkind war riesig. Sie hatten die Hoffnung schon aufgegeben, jemals Oma und Opa zu werden, so sagten sie später. Tja und  nun sind sie 5fache Großeltern.
Im November 2006 erblickte ihr erstes Enkelkind das Licht der Welt. Beim ersten Besuch im Krankenhaus waren sie so entzückt und Opa mußte nur noch weinen...
Auch eine neue untermietererin zog im Hause Daum ein. Ein kleines waisenbündel, gefunden im Garten in tartun mauzte um Hilfe. Sie sollte miezi - katinca heißen und beglückte Silkes katzenherz. Sie war so berühmt, ihr wurde sogar ein Lied gewidmet. Sie liebte ihr fresschen, ihr schläfchen, laufende wasserhähne, schmusen an Silkes füßen und Eis.

In unsrer Familie finden 3 Hochzeiten statt – erst Thorsten und Évi, dann Sebastian und Tienchen und schließlich Bertram und Vicki.

Kindersegen gibt es auch. Erst Kristian, dann Peter, dann Kati. Es folgt Othilie, und schließlich das Nesthäkchen Joshua.

Vicki erlebt die zweite Dekade des 21. Jahrhunderts so:

Einige überraschende politische Entwicklungen gestalten das Weltgeschehen. In England gibt es mehrere königliche Hiochzeiten, smart phones und elektrische Autos kommen auf den Markt und es hält ein wachsendes grünes Bewusstsein Einzug. Die sozialen Medien erobern das Internet. Die Mode der 80er ist wieder modern, sowie lange Bärte.
Silke und Janusch lernt sie als warmherzige und herliche Menschen kennen, die sich enthusiastisch für alles Neue interessieren, so z.b. auch neue Kulturelle Erfahrungen. Menschen, die extrem großzügig sind – in jeglicher Hinsicht – und uns immerit jeder Menge zu Essen bewirten.
Die schönsten Erinnerungen verbindet Vicki mit Besuchen auf dem Weihnachtsmarkt in Quedlinburg, Urlaub in Dänemark, und großes Gelächter beim Versuch eine Strandmuschel wieder ewinzupacken. Und nicht zu vergessen, viele gemütliche Abend mit Kerzenschein, Wein und Unterhaltungen über Gott und die Welt.